Gesungen und gespielt wie im Orignal … oder so ähnlich
Die Musikgruppe The Playfords versucht sich den von ihnen gespielten Stücken mit den Klängen historischer Instrumente anzunähern. Bei O Heiland reiß die Himmel auf scheint mir dies nur sehr begrenzt gelungen zu sein. Zumindest wenn man davon ausgeht, was Friedrich Spee von Langenfeld mit seinem Lied ausdrücken wollte.
Der Würzburger Fürstbischof Philipp Adolf von Ehrenberg jedoch hätte sich über die Interpretation der Playfords sehr gefreut. Denn sie legten ein Schwergewicht auf „seine“ letzte Strophe und verwandelten so den Ruf Friedrich Spees nach Gerechtigkeit in ein weihnachtsmarkttaugliches Advents-Folklorestück.
Der Gottesdienst wird live im Internet übertragen.
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Das Lied erschien 1622, vier Jahre nach Beginn des 30jährigen Krieges, in einer Würzburger Weihnachtsliedersammlung. Der Liedtext lautet:
1. O Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf, reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für.
2. O Gott, ein’ Tau vom Himmel gieß, im Tau herab, o Heiland, fließ. Ihr Wolken, brecht und regnet aus den König über Jakobs Haus.
3. O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd, dass Berg und Tal grün alles werd. O Erd, herfür dies Blümlein bring, o Heiland, aus der Erden spring.
4. Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm, tröst uns hier im Jammertal.
5. O klare Sonn, du schöner Stern, dich wollten wir anschauen gern; o Sonn, geh auf, ohn deinen Schein in Finsternis wir alle sein.
6. Hier leiden wir die größte Not, vor Augen steht der ewig Tod. Ach komm, führ uns mit starker Hand vom Elend zu dem Vaterland.
Ein, wie Heribert Prantl es nannte, Trostschrei-Lied aus finsteren Zeiten, in denen die Weihnacht in Not, Krieg, Hetze und Fanatismus unterging.
Die Priester wussten, was sie taten, als sie dies vertonten. Die basslastige, ernste Grundstimmung, das düstere Setting des Videos – vor allem aber ließen sie bei ihrer Interpretation die letzte Strophe weg. Dies ist eine klare Positionierung zu der Art, wie Friedrich Spee sein Lied verstanden wissen wollte.
Doch den Kirchenoberen war das Lied zu ungefällig. Darum befahl der Würzburger Bischof Philipp Adolf von Ehrenberg 1630 – auch er ließ zahlreiche Hexen, Ketzer, sogar Kinder, verbrennen -, dass für eine Neuauflage des Liederbuches folgende letzte Strophe hinzugefügt werde:
Da wollen wir all danken dir, unserm Erlöser, für und für; da wollen wir all loben dich zu aller Zeit und ewiglich.
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Eigentlich sollte dies, ähnlich wie im letzten Jahr im Advent, ein vorweihnachtliches Schmankerl geben, doch aus Gründen wollte beim Redakteur nicht so recht eine schmanklerische Stimmung aufkommen. Kriege und Kriegsdrohungen verdüstern den Advent, und der musikalische Beitrag, welcher in jeder Adventswoche in einer Variation vorgestellt wird, ist in Kriegszeiten entstanden und von ihnen geprägt – nämlich im schlimmsten Krieg, den Deutschland je erlebt hat: dem Dreißigjährigen (1618-48). Damals kamen zB 90% aller Einwohner der Pfalz ums Leben.
Doch der Dichter des Liedes, Friedrich Spee, war kein Pfälzer. Er war Rheinländer, lebte in Mainz, war Jesuit und gehörte damit zu der gegen die Evangelischen gerichteten Speerspitze der katholischen Kirche. Eigentlich. Aber da er nicht darauf verzichten wollte, trotz Religionskrieg und Hexenwahn seinen Verstand zu gebrauchen, musste er leiden und früh sterben.
Doch er bewirkte auch etwas: Er verfasste eine Denk- und Streitschrift mit dem Namen Cautio Criminalis, mit der er sich vehement gegen die Praxis der Hexenverbrennungen wandte, insbesonders gegen das Mittel der Folter zur Wahrheitsfindung. Er forderte die Justiz seiner Zeit heraus, indem er schrieb, man möge ihm irgendein wie auch immer monströs geartetes, fiktives Verbrechen nennen, dazu eine willkürlich des Verbrechens beschuldigte Person, und mit Hilfe der Folter werde er immer die Schuld beweisen können, andernfalls solle man ihn selbst auf dem Scheiterhaufen verbrennen.
Spee erlebte den Erfolg seiner Bemühungen nicht mehr. Aber gerade im Jesuitenorden gab es einflussreiche Mitbrüder, die seine Arbeit fortsetzten. Und ganz konkret wurde mit der Hilfe seiner Streitschrift die Hexenverfolgung in Verden (1648) gestoppt.
Es gibt Zeiten der Verzweiflung. In einer solchen Zeit schrieb der Jesuit Friedrich Spee das Lied „O Heiland reiß die Himmel auf“. Das war vor bald 400 Jahren, im Dreißigjährigen Krieg, es war die Zeit der Hexenverfolgung; Spee war ihr leidenschaftlicher Gegner – und er war der Beichtvater ihrer Opfer. Er hat die Folter gesehen, den Hass des Mobs und den Wahn in den Augen der Richter. Er hat die Opfer in Blut und Ekel liegen sehen. Er hat die Urteile gehört, Urteile „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Er wusste um die Unschuld der Opfer, aber er hat kein Urteil verhindern, er hat nur trösten können. Er hat sich überlegt, ob er sich selbst „den kopff herunter hawen“ lässt. Aber dann hat er ihn lieber zum Denken benutzt, hat weitergetröstet und weiterbegleitet zum Scheiterhaufen – und Gott angeschrien in seinem Lied: Reiß auf! Reiß ab! Schlag aus!
Das Lied ist kein Klingeling. Es ist der bittere Ruf nach Gerechtigkeit; es ist die Klage darüber, dass Weihnachten nicht kommt, obwohl es im Kalender steht.
[…] Sein Trostschrei-Lied ist an Weihnachten 2016 so erschütternd wahr wie 1622. Das Jahr 2016 war ein Jahr an der Schwelle vom Zweifel zur Verzweiflung. Es war, als habe die Weltgeschichte den Weltstaubsauger eingeschaltet. Es ist, als säßen an den Reglern der Saugleistung Leute wie Erdoğan und Trump, als säßen dort die Populisten und Nationalisten, diejenigen, von denen man glaubte, dass ihre Zeit vorbei sei – und dazu, immer und immer wieder, die Terroristen. Es ist, als saugten sie die bisherigen Grundgewissheiten weg und den Boden der Gewissheiten gleich mit. Die Welt wird bodenlos.
[…] Das sicher Geglaubte ist nicht mehr sicher. Der Glaube daran, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sich, und sei es langsam, weiterentwickeln, der Glaube an den Fortschritt der Aufklärung ist erschüttert; er hat tiefe Risse.
Das Weihnachtsgefühl 2016 ist daher nicht wohlig, sondern bang; es ist das Gefühl existenzieller Unsicherheit; es ist das Gefühl, dass unvermittelt die Barbarei durch diese Risse kriechen könnte.
[…] Die Weltzuversicht vieler Menschen ist zerborsten. Die Gewissheit schwindet, etwas Sinnvolles tun zu können, die Gewissheit, dass jeder seine kleine oder größere Welt besser machen kann. Selbst manchen von denen, die mit Herzblut Flüchtlingen geholfen haben, kam das Grundvertrauen abhanden, damit Gutes getan zu haben. Die Gewissheit ist einem Ohnmachtsgefühl gewichen, dem Gefühl, einem Sog ausgesetzt zu sein. Es ist ein Sog der Fremdbestimmung; auf den Einzelnen scheint es nicht mehr anzukommen.
Heribert Prantl schrieb dies vor acht Jahren, 2016. Inzwischen scheint alles noch viel schlimmer geworden zu sein. Putin hat die Ukraine überfallen, ein Land, dem er zuvor eine Sicherheitsgarantie gegeben hatte, und bedroht den Westen. In den USA geht der Wiedergänger Trump erneut an den Start und ist dabei, sein Gruselkabinett zusammenzustellen. Man möchte sich vor Angst in irgendein Mauseloch verkriechen oder, wie viele es schon tun, sich in die fiktiven Wirklichkeiten des Internets flüchten oder sich den so schönen und platten Verführungsphrasen von rechten Demagogen und Volksverhetzern anvertrauen.
Doch dies würde bedeuten, Weihnachten ein für alle Mal zu begraben. Es geht auch anders. Heribert Prantl hat es 2016 so ausgedrückt:
[…] Spee hat damals, in größter Verzweiflung, nicht resigniert: Er hat getröstet, geschrieben, geschrien. Er hat, anonym, die Streitschrift „Cautio Criminalis“ verfasst, den Anti-Hexenhammer, darin für die Unschuldsvermutung, für ein faires Verfahren, für Menschen- und Frauenrechte geworben. Er hat Gott angefleht und angefaucht und sich selber auch. Er hat in seinem Lied nicht das süße Christkind angerufen, sondern den „Heiland“, der selbst unter das Rad der Geschichte kam und Gewaltopfer wurde. Wie dieser hat er der Verzweiflung standgehalten; er hat sie produktiv werden lassen. Spee war ein Befreiungstheologe, auch wenn es mit der Befreiung von der Hexenjagd noch länger als ein Jahrhundert gedauert hat. Er ist weder dem billigen Trost noch der Trostlosigkeit verfallen. Er ist ein Weihnachtsvorbild.
„Vielleicht gibt es schönere Zeiten“, hat Jean-Paul Sartre gesagt. „Aber dies ist unsere Zeit.“ Sie braucht Leute, die zur Not den Himmel aufreißen, wenn die Erde die Hölle ist. Dann wird Weihnachten.
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