Text und Sprecher: Pfr. Daniel Seel, Hornbach
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O Heiland, reiß die Himmel auf, Teil I
Eigentlich sollte dies, ähnlich wie im letzten Jahr im Advent, ein vorweihnachtliches Schmankerl geben, doch aus Gründen wollte beim Redakteur nicht so recht eine schmanklerische Stimmung aufkommen. Kriege und Kriegsdrohungen verdüstern den Advent, und der musikalische Beitrag, welcher in jeder Adventswoche in einer Variation vorgestellt wird, ist in Kriegszeiten entstanden und von ihnen geprägt – nämlich im schlimmsten Krieg, den Deutschland je erlebt hat: dem Dreißigjährigen (1618-48). Damals kamen zB 90% aller Einwohner der Pfalz ums Leben.
Doch der Dichter des Liedes, Friedrich Spee, war kein Pfälzer. Er war Rheinländer, lebte in Mainz, war Jesuit und gehörte damit zu der gegen die Evangelischen gerichteten Speerspitze der katholischen Kirche. Eigentlich. Aber da er nicht darauf verzichten wollte, trotz Religionskrieg und Hexenwahn seinen Verstand zu gebrauchen, musste er leiden und früh sterben.
Doch er bewirkte auch etwas: Er verfasste eine Denk- und Streitschrift mit dem Namen Cautio Criminalis, mit der er sich vehement gegen die Praxis der Hexenverbrennungen wandte, insbesonders gegen das Mittel der Folter zur Wahrheitsfindung. Er forderte die Justiz seiner Zeit heraus, indem er schrieb, man möge ihm irgendein wie auch immer monströs geartetes, fiktives Verbrechen nennen, dazu eine willkürlich des Verbrechens beschuldigte Person, und mit Hilfe der Folter werde er immer die Schuld beweisen können, andernfalls solle man ihn selbst auf dem Scheiterhaufen verbrennen.
Spee erlebte den Erfolg seiner Bemühungen nicht mehr. Aber gerade im Jesuitenorden gab es einflussreiche Mitbrüder, die seine Arbeit fortsetzten. Und ganz konkret wurde mit der Hilfe seiner Streitschrift die Hexenverfolgung in Verden (1648) gestoppt.
Wie erschreckend aktuell das Problem ist, mit dem Spee schon vor 400 Jahren kämpfte, demonstriert ein Weihnachtsfeature der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 2016, verfasst von Heribert Prantl, den ich hier zu Wort kommen lassen will:
Es gibt Zeiten der Verzweiflung. In einer solchen Zeit schrieb der Jesuit Friedrich Spee das Lied “O Heiland reiß die Himmel auf”. Das war vor bald 400 Jahren, im Dreißigjährigen Krieg, es war die Zeit der Hexenverfolgung; Spee war ihr leidenschaftlicher Gegner – und er war der Beichtvater ihrer Opfer. Er hat die Folter gesehen, den Hass des Mobs und den Wahn in den Augen der Richter. Er hat die Opfer in Blut und Ekel liegen sehen. Er hat die Urteile gehört, Urteile “Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes”. Er wusste um die Unschuld der Opfer, aber er hat kein Urteil verhindern, er hat nur trösten können. Er hat sich überlegt, ob er sich selbst “den kopff herunter hawen” lässt. Aber dann hat er ihn lieber zum Denken benutzt, hat weitergetröstet und weiterbegleitet zum Scheiterhaufen – und Gott angeschrien in seinem Lied: Reiß auf! Reiß ab! Schlag aus!
Das Lied ist kein Klingeling. Es ist der bittere Ruf nach Gerechtigkeit; es ist die Klage darüber, dass Weihnachten nicht kommt, obwohl es im Kalender steht.[…]
Sein Trostschrei-Lied ist an Weihnachten 2016 so erschütternd wahr wie 1622. Das Jahr 2016 war ein Jahr an der Schwelle vom Zweifel zur Verzweiflung. Es war, als habe die Weltgeschichte den Weltstaubsauger eingeschaltet. Es ist, als säßen an den Reglern der Saugleistung Leute wie Erdoğan und Trump, als säßen dort die Populisten und Nationalisten, diejenigen, von denen man glaubte, dass ihre Zeit vorbei sei – und dazu, immer und immer wieder, die Terroristen. Es ist, als saugten sie die bisherigen Grundgewissheiten weg und den Boden der Gewissheiten gleich mit. Die Welt wird bodenlos.[…]
Das sicher Geglaubte ist nicht mehr sicher. Der Glaube daran, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sich, und sei es langsam, weiterentwickeln, der Glaube an den Fortschritt der Aufklärung ist erschüttert; er hat tiefe Risse.
Das Weihnachtsgefühl 2016 ist daher nicht wohlig, sondern bang; es ist das Gefühl existenzieller Unsicherheit; es ist das Gefühl, dass unvermittelt die Barbarei durch diese Risse kriechen könnte.[…]
Die Weltzuversicht vieler Menschen ist zerborsten. Die Gewissheit schwindet, etwas Sinnvolles tun zu können, die Gewissheit, dass jeder seine kleine oder größere Welt besser machen kann. Selbst manchen von denen, die mit Herzblut Flüchtlingen geholfen haben, kam das Grundvertrauen abhanden, damit Gutes getan zu haben. Die Gewissheit ist einem Ohnmachtsgefühl gewichen, dem Gefühl, einem Sog ausgesetzt zu sein. Es ist ein Sog der Fremdbestimmung; auf den Einzelnen scheint es nicht mehr anzukommen.Heribert Prantl schrieb dies vor acht Jahren, 2016. Inzwischen scheint alles noch viel schlimmer geworden zu sein. Putin hat die Ukraine überfallen, ein Land, dem er zuvor eine Sicherheitsgarantie gegeben hatte, und bedroht den Westen. In den USA geht der Wiedergänger Trump erneut an den Start und ist dabei, sein Gruselkabinett zusammenzustellen.
Man möchte sich vor Angst in irgendein Mauseloch verkriechen oder, wie viele es schon tun, sich in die fiktiven Wirklichkeiten des Internets flüchten oder sich den so schönen und platten Verführungsphrasen von rechten Demagogen und Volksverhetzern anvertrauen.
Doch dies würde bedeuten, Weihnachten ein für alle Mal zu begraben.
Es geht auch anders.
Heribert Prantl hat es 2016 so ausgedrückt:[…]
Spee hat damals, in größter Verzweiflung, nicht resigniert: Er hat getröstet, geschrieben, geschrien. Er hat, anonym, die Streitschrift “Cautio Criminalis” verfasst, den Anti-Hexenhammer, darin für die Unschuldsvermutung, für ein faires Verfahren, für Menschen- und Frauenrechte geworben. Er hat Gott angefleht und angefaucht und sich selber auch. Er hat in seinem Lied nicht das süße Christkind angerufen, sondern den “Heiland”, der selbst unter das Rad der Geschichte kam und Gewaltopfer wurde. Wie dieser hat er der Verzweiflung standgehalten; er hat sie produktiv werden lassen. Spee war ein Befreiungstheologe, auch wenn es mit der Befreiung von der Hexenjagd noch länger als ein Jahrhundert gedauert hat. Er ist weder dem billigen Trost noch der Trostlosigkeit verfallen. Er ist ein Weihnachtsvorbild.
“Vielleicht gibt es schönere Zeiten”, hat Jean-Paul Sartre gesagt. “Aber dies ist unsere Zeit.” Sie braucht Leute, die zur Not den Himmel aufreißen, wenn die Erde die Hölle ist. Dann wird Weihnachten.
50. Benefizkonzert am 7.12.2024
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Text und Sprecher: Pfr. Albrecht Bähr, Speyer / Limbach
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Losungsandacht für Freitag, 29.11.2024
Text und Sprecher: Pfr. Benno Scheidt, Zweibrücken/Lautzkirchen
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